Frei : Raum (MG)
Freiraum? Beinhaltet der Begriff nicht etwas Gegensätzliches in seiner Wortbedeutung? Raum ist etwas, was uns umgibt. Er ist messbar und grenzt ein. Wir sind in ihm enthalten. Das Freie bedeutet Uneingeschränktheit; Freiheit zur Entwicklung und Entfaltung der Identität. Was geschieht, wenn man beide Aspekte kombiniert? Kann es einen Raum dieser Uneingeschränktheit geben? Einen entgrenzten Raum? Oder ist es ein definierter Raum, dessen Begrenzung freie Entfaltung erlaubt?
Freiraum kann somit also ein Raum sein, der sich zu allen Seiten öffnet, der weder einen definierten Anfang, noch ein Ende hat, dessen Grenzen überwindbar sind. Ein Raum, der Handlungsspielraum zulässt, der den Nutzer zur Initiative zwingt. Es kann aber auch ein Raum sein, der physische Grenzen stellt, psychische Grenzen jedoch nicht. Denn selbst wenn er in seiner Form und Anordnung vorbestimmt ist, können trotzdem unbestimmte, sich ändernde, freie Nutzungen entstehen.
Der Freiraum nimmt einen Platz im Stadtraum ein und hinterlässt Luft, einen Puffer, eine Lücke. Es ist ein unbebauter, unbesetzter Raum zwischen Häusern und Straßen. Er zeigt sich in unterschiedlichen Maßstäben. Dabei kann der Raum zufällig, unbeabsichtigt entstehen oder vergessen sein und brachliegen. Leer würde ich diese Flächen nicht beschreiben. Denn trotzdem charakterisieren sie sich über bestimmte Sinneswahrnehmungen und ergeben einen beschreibbaren Ort. Sie scheinen im ersten Moment bezugslos zu sein, als unsichtbare Zwischenräume – als unberührte Flächen, die der gestalteten, kontrollierten Umwelt entgegenstehen. Doch jene sind charakteristisch wertvoll. Jeder dieser Orte trägt eine Geschichte, wird von Individuum zu Individuum unterschiedlich wahrgenommen, unterschiedlich damit umgegangen. Es überlagern sich verschiedene Thematiken. Sie sind Teil des Stadtbildes. Mut zur Lücke.
Mut zur Vielfältigkeit.
Es sind also vielleicht die Überlagerungen, die Gegensätze, die den Freiraum definieren, die ihn erst interessant machen. Er kann diese möglicherweise miteinander vereinen. Das Schöne und das Hässliche. Das Leichte und das Schwere. Das Aufgeräumte und das Ungeordnete. Das Doppeldeutige, das Leben selbst. Kurz: er lässt Möglichkeit zum Eigenleben.
Auch lässt er dem Individuum die Möglichkeit, selbst aktiv zu werden und Teil davon zu werden. Denn ein Freiraum ist auch die Freiheit, sich einen Raum anzueignen, sei es einen öffentlichen Raum oder einen privaten Raum, sei es einen Außen- oder Innenraum, sei es für temporäre Nutzung oder für längerfristige Nutzung. Es ist die Freiheit, die „Blase“, die sich um das Individuum legt und sich in einigen Momenten vergrößert, in anderen verkleinert, gedanklich oder materiell zu markieren. Er setzt durch sein aktives Handeln ein Zeichen, bewusst oder unbewusst, und erhält im Gegenzug ein neues Gefühl. Es bedeutet die Ausweitung der persönlichen Blase und kann das Gefühl der Rebellion gegen die Eingeschränktheit sein,
bewusst oder unbewusst.
Ein Gefühl des Freiraums. Nicht fassbar. Wahrnehmbar. Etwas, das die Grenzen des Raumes übersteigt, aus dessen ausbricht und in der nächsten Sekunde wieder verschwindet. Gleichsam des Schein des Lichtes, der über allem herrscht und wieder versiegt. Licht stößt von außen nach innen vor, schmiegt sich an die Zimmerwände und füllt den Raum mit Wärme und einem Spiel aus hellen und dunklen Nuancen, einem Gefühl der Geborgenheit und Freiheit. Das Licht verwischt die Differenzen Außen-Innen und stellt einen Bezug der beiden her. Es schafft Vielfarbigkeit und einen bunten Wechsel von Eindrücken. Licht und Schatten. Ein Gegensatz.
Das eine ohne das andere.
© Marie Grützner
PS: Das Bild ist letztes Jahr während einer SummerSchool in Südafrika entstanden. Wir sind als „flying classroom“ von Ort zu Ort gegangen und haben uns mit Klapptischen und Boxen einen eigenen Raum geschaffen. Zum Kommunizieren, Diskutieren.