Komm doch Freiraum, wenn du dich traust. (JV)

Freiraum

“Ich brauche meinen Freiraum!”, brülle ich.
Mit voller Wucht knallt die Türe hinter mir zu. Ich laufe die Treppe hinunter.
Das anfängliche Gehen manifestiert sich zu schnellen Schritten.
Ich renne. Ich renne so schnell meine Beine mich tragen können.
“Ich muss hier raus!”, denke ich und sehe kahle Betonwände, gläserne Kuben, Straßen, Autos, Gesichter die nach unten starren im Zeitraffer an mir vorbeiziehen.
Mein Atem überschlägt sich mit dem Rhythmus meiner Bewegung doch mein Kopf möchte ausbrechen, aus einer Welt die mich determiniert. Eine Welt die mir die Luft raubt wie eine Schlange, die sich langsam aber sicher um deine Kehle windet, deren Zähne dich bei ihrem Versuch des Strangulierens blenden und dich Stück für Stück auslöschen.
Meine Gedanken wirbeln wie kalaidoskope Farbspiele durch meinen Körper, meine Ohren sind betäubt von einem Mashup an Straßensirenen, hupenden Karosserien und dem Beat von sich kreuzenden, hastigen Schritten. Vielen Schritten. Menschenmassen die sich ungehindert ihren Weg durch den grau-schwarzen Dschungel bahnen und dabei die unsichtbare Grenze des “Jah-Nicht-Berührens” waren, wie Schimpansenmütter die ihr Junges beschützen. Ich inhaliere den winzigen Anteil an Luft den ich zwischen Rußpartikeln und dem Gestank halb-verrotteter Kebabs finden kann.
Der Blick schweift nach oben während meine Arme darum bemüht sind meinen schlaffen
Körper voran zu treiben.
Eine Stufe, eine weitere. Sonnenstrahlen bahnen sich einen Weg durch die Leerräume zwischen den unzähligen Türmen dieser Stadt.
Mein Rennen verlangsamt sich, mein Herzschlag ist wieder im Einklang mit meinen Schritten die unentwegt eine Steigung nach der nächsten bezwingen.

Und dann bleibe ich stehen.
Ich drehe mich um und starre in ein Loch voller Gebäude, voller trauriger Leben die sich selten über den Rand des Kessels wagen, voller Bewegung die so intensiv ist, dass man sie kaum wahrnehmen kann.

-ein Loch voller Variabilität die in eine bedrückende Tristesse metamorphiert.
Ich drehe mich um.
Vor mir erstrecken sich Kastanienbäume deren Farben nostalgisch werden lassen, hölzerne Bänke die Geschichten erzählen, eine kleine Bäckerei, ein alter Herr der Pfeife-rauchend an mir vorbei flaniert, eine Grünfläche die von Wegführungen durchkreuzt wird.

Freiraum.

Freiraum ist nichts, was man fest definieren kann.
Freiraum ist ein Gefühl.
Freiraum ist das Gefühl mit zu spielen aber auf einer anderen Ebene.
Freiraum ist allwissender Erzähler und nicht Protagonist.
Freiraum ist oben wenn unten alles zu viel wird.
Freiraum ist unten wenn die Stille einen erdrückt.
Freiraum ist das Entkommen aus der Fülle und das Fliehen aus der Leere.
Freiraum ist das Zwischendrin.
Freiraum ist Weite, aber auch Enge.
Freiraum ist das Gefühl, dass du zulässt, wenn du dich traust.

 

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